Word. Der Wert des Wortes in digitalen Medien

Der Wert des Wortes in digitalen Medien

Word.

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t.o.c.
Social Media, Selbstdarstellung und Schnelligkeit - da bleibt wenig Platz für große Worte. Ein Exkurs in die aktuellen Absurditäten der digitalen Kommunikation.
“Nur weil etwas lesbar ist, bedeutet das nicht, dass es etwas kommuniziert" - unerwartet treffsicher scheint dieses Zitat des Designers David Carson wie gemacht für den Status Quo der Kommunikation im Zeitalter von Social Media, Selbstdarstellung und Schnelligkeit. Das Wort verliert durch die Tatsache, dass es schnell und einfach reproduzierbar ist, zunehmend an Wert. Während oftmals das “Internet” an sich und “sozialer Zwang” im Speziellen angeprangert werden, ist der Bösewicht ganz woanders zu suchen - nämlich nicht in Soft- oder Hardware.

Corporate Bullshit Bingo


… und der Verzicht auf Inhalte

Längst nicht mehr nur offline, sondern in allen erdenklichen Formen der Online-Bandbreite verwandelt sich wertvoller Business Talk zunehmend in eine Anhäufung von Floskeln, Null-Aussagen und unverbindlichen Antworten. Verzögert sich die Fertigstellung eines Projekts, war wohl “die Kalkulation des benötigten Zeithorizonts im Zuge der Projektplanung zu ambitioniert”. Möchte man daher, dass sich die Mitarbeiter wirklich ins Zeug legen, muss das “Human-Resource-Capital genutzt und proaktives Commitment gezeigt werden, um lösungsorientiert das Close-of-Play zu schaffen”.

Anglizismen und Neologismen haben, sofern sie schlüssig aneinandergereiht werden, die Macht, wunderbar kompetent zu klingen und gleichzeitig die tatsächlich relevanten Fakten zu umschreiben - oder aber gar nichts auszusagen. Stellt sich die Frage, was die bessere Alternative darstellt.

EULA und Nutzungsbedingungen


… und die Ignoranz der Verbindlichkeit

Ansehen? Na klar. Gelesen? Mehr oder weniger. Akzeptieren? Na aber sicher doch. Lizenzvereinbarungen, Nutzungsbedingungen und License Agreements werden schneller abgehakt als man “I agree” sagen kann. Wird schon nichts Verfängliches enthalten sein. Umso überraschender ist dann die Mitteilung, man möge doch bitte einen bestimmten Betrag an ein bestimmtes Konto überweisen, um die Abokosten für das vergangene Jahr der Nutzung zu decken, oder das unerwartete Auffinden der eigenen (Bewegt-)Bilder im World Wide Web, da man unabsichtlich eingewilligt hat, die Rechte für das hochgeladene Material in jeglicher Form abzutreten. Es wäre nicht das erste Mal, dass Facebook- oder Instagram-Bilder einem Dritten einen guten Zuverdienst einbringen.

Die Tatsache, dass es meist einfacher ist, in digitale Vereinbarungen einzuwilligen als in jene im Offline-Bereich, ändert (prinzipiell) nichts an deren Verbindlichkeit. Es spielt also keine Rolle, ob die EULA-Inhalte unreflektiert bzw. komplett ungelesen oder aber wider besseren Wissens mit einem Häkchen abgesegnet wurden. Die Worte scheinen immer mehr zu einer unvermeidbaren Ansammlung von rechtlich relevanten Textpassagen zu werden, für die sich der User gemeinhin nicht interessiert. Sollte er aber - immerhin geht es dabei um seine Rechte.

Like, Poke & Ping


… und die Standardisierung der eigenen Aussage

Scroll. Like. Scroll. Hihi. Like. Scroll. Boah. Like.
Vorzeigebeispiel oberflächlicher Kommunikation ist wohl die “Like”-Funktion von Facebook. Durchaus stupide wirkt das Verhalten der User in Zug, U-Bahn und Bus bei längerem Hinsehen, vor allem, wenn mehrere Menschen simultan nebeneinander liken - sehen Sie mal genau hin! Die gesamte Timeline der letzten Stunden wird überblicksmäßig gescannt und hie und da ein Like - oder mittlerweile auch Love oder Wow - verteilt; nicht unbedingt der Glanzpunkt sozialer Interaktion. Macht aber nichts, Hauptsache man schärft sein Onlineprofil mit einer klaren Bekenntnis zu Postings, die sexy, geeky oder weltverbessernd sind.

In einem ersten Wurf hat Facebook das Dilemma der standardisierten Reaktion durch die Bereitstellung neuer Emojis scheinbar beseitigt - Individualität sieht dennoch anders aus.

Retweets & Shares


… und der Abschied von der Originalität

Wozu das Rad der Inhalte neu erfinden, wenn andere ohnehin genau das ansprechen, was man selbst gerade loswerden wollte. Ein Retweet oder Share erfüllen den Zweck des Kommunizierens ohne Eigenaufwand (abgesehen von der Auswahl der zu reproduzierenden Inhalte) hervorragend.

Leider besteht zwischen Retweets und Eigeninitiative immer noch ein himmelhochjauchzender Unterschied. Individuelle Originalität oder fantasielose Marktschreierei? Abgesehen von der journalistisch-motivierten Weitergabe von öffentlich relevanten Informationen scheint einzig das Teilen der Inhalte namhafter Persönlichkeiten gewissermaßen sinnvoll - schreit doch jedes Posting dabei: “Schau mal! Ich retweete David Beckham! Damit sind wir quasi beste Freunde.”

Fake Reviews


… und das Vertrauen in Fremde

Ein Hoch auf Bewertungsplattformen, denn sie verkörpern den Ursprungsgedanken des World Wide Web so gut wie kaum etwas anderes. In demokratischer Manier steuert jeder seine Erfahrungen mit dem Restaurant, der Show oder dem Dienstleister bei, um anderen Usern die Entscheidungsfindung zu erleichtern.

Bedauernswert zeigt sich jedoch die Realität hinter karl_87 und sweetyheart13. Was vor wenigen Jahren noch als Unding der Kommunikation galt, ist heute als Service namens “Reputation Management” gang und gäbe - Unternehmen werden bezahlt, um dem zivilen User falsche Reviews unterzujubeln, die authentische Erlebnisse vorgaukeln sollen. Diese zu erkennen wird zunehmend schwerer, werden doch ganze Charaktere rund um den User konzipiert - von Familiensituation über Rechtschreibschwäche bis hin zu politisch-ökonomischen Ansichten.

Infoporn


… und der Glaube an die Kraft der Bilder

Die Ära der Infoposter rückt Inhalte, die die Welt bewegen, endlich in ein visuell ansprechendes Format mit viralem Potenzial. Statistiken, Diagramme, Vergleiche und Checklisten zeigen auf anschauliche Weise, wie sich Suchmaschinenoptimierung betreiben oder das perfekte Brot backen lässt; Sharing- und Büro-tauglich.

Bei vielen dieser Poster lohnt sich ein zweiter Blick ohne rosarote “Wow”-Brille. Zwar liegt es in der Natur der Sache, den Fokus hierbei auf den Designaspekt zu legen, doch deshalb gänzlich auf Informationen zu verzichten, führt den Begriff “Infoposter” dann eben doch ad absurdum; stört aber die Ästhetik nicht und fällt beim ersten Mal hinsehen - außer durch die militante Wiederholung desselben Blindtextes - eigentlich auch gar nicht negativ auf:


Quelle: Graphic Design Junction

Nicht immer sind Worte notwendig, schon gar nicht zu viele davon. Aber wenn sie ihren verdienten Platz einnehmen, dann hat das eben - hoffentlich - einen Grund und sollte mit entsprechendem Respekt honoriert werden. Mit einem persönlichen Statement zum Retweet, mit einem kurzen Gedanken an den Mehrwert eines Infoposters oder mit dem schlichten Lesen der Bedingungen, mit der man Fotos, Inhalte oder die eigene Seele lizenziert.

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