In uns steckt kein Hemingway; in Hemingway auch nicht.

In uns steckt kein Hemingway; in Hemingway auch nicht.

10.09.2014
, Gudrun Geist

Adam und Ben Long schreiben. Sie schreiben oft, viel und für Geld. Als Texter und Marketer arbeiten sie täglich an und mit Worten und hatten eines Tages die Erkenntnis, dass Text oftmals zu kompliziert sei. Um Abhilfe zu schaffen, entwickelten sie eine App: Hemingway. Sinn oder Unsinn?

Hemingway gibt es als kostenfreie Online-Version und als Desktop-App mit Offline-Funktionalität um $5.99. Das Programm überprüft den eingegebenen Text auf verschiedene Parameter und liefert in Echtzeit ein Resultat über die vermeintliche Lesbarkeit des Textes. Zu den relevanten Faktoren zählen die Häufigkeit von Adjektiven, die Länge eines Satzes, die Komplexität der Wörter und die aktive oder passive Verwendung von Verben. Eines vorab: die App durchforstet nur englische Texte. Ihre deutschen Pendants sind quasi unsichtbar - und damit auch ein nicht unbedeutender Teil unserer hauseigenen Produktionen.

Der Name legt es nahe; darum reihen auch wir uns in die lange Liste der Besserwisser ein, die testen wollen, ob denn wenigstens Hemingway - der Ernest - im empfohlenen Stil von Hemingway - der App - schreibt. Wenig überraschendes Urteil: tut er nicht. Längere Überprüfungen lassen sich etwa beim New Yorker oder in diversen Foren nachvollziehen - unser Fazit in aller Kürze: wieso sollte er auch? Wieso sollte überhaupt jemand auf Adjektive, anspruchsvolle Satzgefüge und komplexe oder passiv formulierte Konstrukte verzichten? Einfacher ist nicht immer schöner - und schon gar nicht universell anwendbar. Verschiedene Sprachstile und Textgattungen, Branchen und Anwendungsfälle erfordern einen unterschiedlichen Umgang mit dem geschriebenen Wort. Notwendig, aufwändig - und gut so.

Die Hemingway-App ist ein nettes Spielzeug für Menschen, die tatsächlich dazu tendieren, sich in mehrzeiligen Satzgefügen zu verlieren und in allzu komplexe Formulierungen zu verstricken, deren Sinn nicht nur nicht rezipierbar ist, sondern tatsächlich in den Worten verloren geht. Wer aber ohnehin den ein oder anderen geraden Satz konstruieren kann und seine Worte bewusst für einen bestimmten Zweck, eine Zielgruppe oder einen Einsatzbereich wählt, wird in der App nicht mehr sehen als eine kurzlebige Spielerei, die rechtzeitig zum automatisierten Journalismus publik wird.

Und da haben wir auch schon eine Idee für unseren nächsten Test: hält automatisierter Journalismus der automatisierten Überprüfung durch Hemingway stand?